Wutschnaubende Schafe im 21. Jahrhundert
Wie bereits erwähnt, werde ich zeitweilig von Werwölfchen heimgesucht. Das kommt derzeit relativ selten vor, trotzdem weiß ich, dass es ständig auf der Lauer liegt. Bereit zuzupacken, wenn sich die Ungerechtigkeit nähert. Dann nämlich schalten sich mit Lichtgeschwindigkeit sowohl Verstand als auch Harmoniebedürfnis ab und Werwölfchen drängelt sich mit aller Macht vor, um anzugreifen. Vollkommen gleichgültig, wer dann vor mir steht.
Ich bin immer sehr dafür, die Form zu wahren und zwar möglichst in jeder Lebenslage. Leider stauen sich dadurch im Laufe der Zeit negative Schwingungen, im schlimmsten Fall echt üble Aggressionen auf. Die suchen sich ungeachtet dessen, ob es gerade passend ist, ihren Weg nach draußen. Werwölfchen springt aus dem Schafspelz.
Wenn ich mich so richtig ungerecht behandelt fühle, mich jemand extrem ausdauernd triezt, kann ich von einer Sekunde auf die andere so furchtbar böse werden, dass allein der Überraschungseffekt eine äußerst schockierende Wirkung auf mein Gegenüber hat. Damit konnte ich manche Situation schon zu meinem Vorteil entscheiden.
Ist der betreffende Verursacher gerade nicht griffbereit, schwelge ich je nach Zyklusphase in mehr oder weniger genussvollen Phantasien, wie ich wutschnaubend, völlig derangiert, mit Schaum vor dem Mund, kreischend und brüllend, mit zerzaustem Haar und irrem Blick alles herauslasse, was mir gerade durch den Kopf wütet. Hach, wie schön.
Ein anderer Weg sind meine Träume. Im Traum hab ich schon so manchen Zeitgenossen geschüttelt, gewürgt, geschlagen. Eine Zeitlang fand ich diese Art der Aggressionsverarbeitung frustrierend. Warum konnte ich denn nicht einfach alle miesen Gefühle rauslassen, wenn ich wach war und auch was davon hatte?
Viel zu selten gibt es Ansätze in dieser Richtung, wenn ich auf der Rudermaschine sitze. Dann schaffe ich eine Zugkraft um die 120 Watt. Ich glaub, das ist für eine Frau meiner Statur ziemlich viel. Im Normalfall bin ich beim Rudern jedoch damit beschäftigt, meine Arme und Beine in der korrekten Weise zu koordinieren. Das lenkt eher von eventuellen Aggressionen ab.
Ich habe mich mit einer klugen Person über dieses Thema unterhalten und wurde beruhigt: Besser im Traum raus damit als gar nicht.
Oft schreie ich in diesen Träumen furchtbar laut; in Wirklichkeit kommt nur ein klägliches Fiepen heraus. Dann weckt Herzensmann mich und ich kann gut beschützt weiter schlafen. Einmal habe ich nicht nur im Traum laut geschrien. Herzensmann hat mich glücklicherweise auch in dieser Nacht gerettet. Meine Nachbarn waren sicher nicht entzückt, sind vielleicht vor Schreck aus dem Bett gefallen, habe ich es doch ziemlich zeitgleich mit dem Geweckt werden über mir laut poltern hören.
Was also war der Grund für eine derartige Lautstärke? Ich habe geträumt, dass eine fiese Kreatur mir verboten hat, für die nächsten zwei Jahre Herzensmann zu sehen. Wenn das kein Grund zum Schreien ist, dann weiß ich es auch nicht.
Nachtrag:
Eben war ich im Kino und habe „In guten Händen“ gesehen. Der Film spielt Ende des 19. Jahrhunderts. Mit meinen unbeherrschten Anwandlungen wäre ich damals bestimmt auch mit der Diagnose „Hysterie“ je nach finanzieller Situation zum Versuchskaninchen für den ersten Vibrator oder weggesperrt worden. Wie gut, dass ich heute lebe. Abgesehen davon war das aber ein netter Mittwochnachmittag-15-Uhr-Film.
veilchenpastille am 22. Februar 12
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