Montag, 3. August 2015
Saubere Fugen für den Frieden
Alle, die mich kennen, dürfen mich auslachen und mit dem Finger auf mich zeigen.

Ich habe etwas gemacht. Ich kann es selbst noch nicht fassen. Ich habe eben in der pratzigen Mittagssonne vor unserem Haus gehockt, mit einem Messer Moos und Grünzeug aus den Pflasterritzen gekratzt und an meinem Verstand gezweifelt. Aber ich konnte nicht anders - das Verlangen kam einfach so über mich.

Natürlich ist sofort aufgefallen, dass ich hier "mal was am Haus mache". Meine Nachbarin hatte Mitleid und mir ihren voll profimäßigen, extra für diesen Zweck produzierten "Fugenkratzer" geliehen, den ich jetzt benutzen darf, bis ich fertig bin. Das allerdings kann Tage dauern, weil unser riesiges Grundstück mit einer ganzen Menge gepflasterter Wege ausgestattet ist und auf allen anscheinend seit Jahren nichts mehr gekratzt wurde.

Außerdem wurde mir noch ans Herz gelegt, in die Fugen Quarzsand zu streuen, weil dann dort nichts mehr wachsen wird. Die Einkaufsliste für den Baumarkt ist damit um zwei Positionen reicher.

Während ich so am kratzen war, habe ich festgestellt, dass diese Tätigkeit schon was meditatives hat. Außerdem sind schnell Erfolge zu sehen und ich mache sowieso gerne Dinge mit den Händen.
Zusätzlich konnte ich meine Gedanken laufen lassen und habe mir überlegt, was mich denn nun wirklich zu diesem Wahnsinn in der Mittagshitze getrieben hat. Das Ergebnis in Kurzfassung: Die Tatsache, dass ich nette Nachbarn habe. So einfach.

Wir haben wirklich nette Nachbarn und alle haben ordentliche Gärten, jedoch - im Vergleich mit dem deutschen Durchschnittsbürger - nicht übertrieben ordentlich. Unser Haus steht in einer Siedlung, die jährlich an einem Wettbewerb von Siedlergemeinschaften teilnimmt. Hier wird unter anderem die Optik der Gärten beurteilt und dann gibt es Preise.

Wir sind zwar nicht Mitglied der Siedlergemeinschaft, aber wir werden ganz selbstverständlich in alle Aktivitäten einbezogen und niemand setzt uns unter Druck. Alle sind gleichbleibend freundlich, auch noch nachdem bekannt wurde, dass wir mit vier Kindern, zwei Hunden und mittlerweile zwei Katzen hier wohnen.

Ich finde, dann darf man auch mal was im Sinne einer guten Nachbarschaft geben und Fugen zwischen den Pflastersteinen freikratzen. Dafür fühlen wir uns hier ja auch schmuckelig, muckelig, kuschiheimeliglich.

Gestern habe ich mich noch mit Frau Mustermann darüber unterhalten, dass wir ihr mittlerweile ordentlich Konkurrenz machen: Rasenmäher, Pavillon, Einbauküche, Bungalow, Gartenhaus ...

Nur wie nenne ich uns denn nun? Mustermann ist schon vergeben. Frau Mustergültig? Frau Fugenkratzer? Hat jemand eine bessere Idee?

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