Meine Eltern haben ziemlich lange gebraucht, herauszufinden, was man Anfang der 70er in einem kleinen Dorf, in dem die Nonnen im Kindergarten herrschen, tun muss, um einen Kindergartenplatz zu ergattern. Nachdem beide als aktive Mitglieder in den Kirchenchor eingetreten sind, war plötzlich ein Platz für mich frei. Zufall oder Absicht? Wir werden es nie erfahren.
Zu dem Zeitpunkt war ich jedoch schon im Vorschulalter. Ich habe keine Ahnung, womit ich bis dahin meine Kindheit verbracht habe, kann mich aber weder an eine nennenswerte Freundin noch sonstige Kontakte zu Gleichaltrigen erinnern. Der Zug zu meiner Sozialisation war also im großen und ganzen schon abgefahren, was eventuell mein heute noch manchmal etwas kauziges Verhalten erklärt. Zudem oder vielleicht genau aus diesem Grund war ich ein total schüchternes und verpeiltes Kind. Die Schüchternheit hat sich ausgewachsen.
Verpeilt bin ich geblieben.
Meine Erinnerung an die Kindergartenzeit ist geprägt von unfreundlichen Nonnen, die viel geschimpft haben und ruppig waren. Wer auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet Nonnen und kleine Kinder aufeinander los zu lassen, muss einen bizarren Humor gehabt haben. Aus heutiger Sicht behaupte ich, dass es für beide beteiligte Gruppen keine behagliche Situation war. Die verantwortliche Institution oder Person hatte aus welchen Gründen auch immer ein Einsehen: Nach einer Weile wurden die Nonnen gegen Erzieherinnen ausgetauscht.
Eine weitere Erinnerung ist die einzige Karnevalsparty im Kindergarten, die ich erleben durfte. Alle Kinder waren verkleidet. Ganz klassisch als Cowboy, Indianer, Prinzessin. Meine Mutter hat mich in ein Fliegenpilzkostüm gesteckt. So. Hiermit wurde der Grundstein zu meiner zeitweiligen Aversion, mittlerweile Gleichgültigkeit gegenüber Karneval gelegt. Dieses Kostüm hat mir den Rest gegeben, bevor überhaupt alles anfangen konnte.
Im Laufe der Feier wurde ein Stuhlkreis gebildet. Die jeweiligen Kostümgruppen haben sich in die Mitte gestellt und alle anderen Kinder haben über Cowboys, Indianer, Prinzessinnen ein tatsächlich existierendes Karnevalslied gesungen. Ein Karnevalslied über Fliegenpilze gab es nicht. Trotzdem wurde ich – schüchtern und wenig sozialisiert wie ich war – alleine in die Mitte gestellt und von den engagierten Erzieherinnen mit einem improvisierten Fliegenpilzlied besungen. Es war grauenvoll.
Viel mehr fällt mir zu meiner Kindergartenzeit nicht ein. Es ging schnell vorbei und in der Schule wurde es für mich nicht besser. Aber das ist ein anderes Thema, welches ich heute nicht vertiefen möchte.
Meine Mutter ist auch heute noch eine aktive Karnevalistin. Sie ist mit viel Herzblut und großer Begeisterung dabei. Ab Ostern kann man mit ihr kein normales Gespräch mehr führen, weil sie sich schon wieder in den Vorbereitungen für die nächste Session (heißt das so?) befindet. Wir haben also von klein auf lediglich ab dem Tag nach Aschermittwoch bis Ostern eine halbwegs normale Mutter. Jeder kann sich lebhaft vorstellen, dass das die kindliche Entwicklung ungünstig beeinflusst.
Wir sind drei Geschwister. Alle drei mehr oder weniger komisch, meistens eher mehr. Manchmal sagt meine Mutter im Laufe eines Telefonats, wenn sie sich bei einem von uns über eine/n andere/n von uns beklagt: „Ich weiß gar nicht, warum der/die das (hier ein Mutter-Thema Ihrer Wahl einsetzen) macht / nicht macht.“ ICH WEISS DAS ABER!!! Das liegt an unserem Karnevalstrauma. An Fliegenpilzkostümen, an Probestunden für komische Tänze mit wild hüpfenden Muttis unterschiedlicher Alters- und Gebrechensklassen in unserem Wohnzimmer, an uns voller Stolz präsentierten Foto- und Filmdokumentationen der erschütternden Ergebnisse.
Und jetzt kommt der abschließende Knaller: Meine Mutter will meine Aufsätze zu Büttenreden für's nächste Jahr verwursten. Hierzu sage ich laut und nachdrücklich: Nix da! Meine Aufsätze werden nicht verwurstet! Keinen einzigen Aufsatz werd ich dir geben – bis auf diesen.
Ein dreifach donnerndes: Nonnen! - Helau! - Fliegenpilze! - Helau! Wild hüpfende Muttis! - Helau!
Prima! Auf den Punkt gebracht! Es ist bald wieder soweit (Uaaaahhhhh - und dieses Jahr mit geballter Ladung)!
L.G.