Millionen Menschen in Deutschland verzichten auf Hartz IV und leben damit in "verdeckter" Armut.

Hab ich heute in den Nachrichten gehört.

Heisst das im Umkehrschluss, dass Hartz IV-Empfänger in offener Armut leben?


arboretum am 01.Jul 13  |  Permalink
Sie werden zumindest in den Statistiken zur Armut usw. erfasst.

veilchenpastille am 13.Jul 13  |  Permalink
Ich fand nur die Formulierung "verdeckte Armut" in diesem Zusammenhang sehr unglücklich.

Teenie-Ding und ich hatten auch schon das zweifelhafte Vergnügen von (damals noch) Sozialhilfe leben zu dürfen. Es ist natürlich sehr wenig, aber man kann in einer Notsituation übergangsweise davon leben, wenn man ordentlich haushaltet und gleichzeitig alles tut, um schnellstens wieder da raus zu kommen.

arboretum am 13.Jul 13  |  Permalink
Bei der Sozialhilfe wurde damals noch manches etwas großzügiger gehandhabt.

Dass sich so viele Menschen, die eigentlich einen Anspruch auf (ergänzendes) ALG II hätten, nicht beim Amt melden und somit nicht in den Statistiken erfasst werden, wirkt sich auf die Höhe des ALG II aus. Im "Tagesspiegel" vom 1. Juli 2013 wurde sehr gut erläutert, wieso:

Denn die [Höhe] richtet sich nach den Konsumausgaben der unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher – Hartz-IV-Empfänger werden dabei ausgenommen, um keine Verarmungsspirale in Gang zu setzen. Die Regelsatzberechnung war 2011 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geändert worden. Die Richter hatten damals auch festgestellt, dass die Einbeziehung von verdeckt armen Haushalten in die Referenzgruppe „die Datenbasis verfälschen“ würde. Bei der Auswertung künftiger Einkommens- und Verbrauchsstichproben solle der Gesetzgeber darauf achten, diese zu entfernen.

Dann müssten aber auch die Regelsätze steigen.


"Verdeckte Armut" ist ein Fachbegriff aus der empirischen Sozialforschung und bezeichnet die Dunkelziffer der Armut.

cassandra_mmviii am 13.Jul 13  |  Permalink
Dazu kommt, daß die Fragebögen, die zur Ermittlung des Verbrauchs in diesen unteren 20% benutzt werden, häufig von einer Generation armer Rentner ausgefüllt werden, die ihr Leben lang von wenig gelebt hat. Das führt dazu, das alterskohortenspezifisches Konsumverhalten nicht berücksichtigt wird.
Der Prokopfstromverbrauch einer alten Dame, die immer nur eine Glühbirne laufen hat und abends mal den Fernseher, liegt weit unter dem eines Haushaltes mit Teeniedingsens. Das gilt auch für Ernährung- für meinen Opa (bäuerliche Sozialisation in den 1920ern) war keinen Eintopf essen Sonntagsessen. Von ihm aus konnte und sollte es dauernd irgendwelche Eintöpfe geben, mit was man mich jagen konnte. In der Woche Fleisch? Klar, ein paar Schinkenkrümmel im Nudelauflauf :-). Essen, das aus mehreren Töpfen kam, war für ihn was für besondere Tage. Das unterscheidet diese Generation auch von jüngeren.

Die Frage, wie diese unrepräsentativen Ergebnisse zustande kommen...
einerseits muß man erst mal die Zeit haben, jeden Pfennig aufzuschreiben. Das ist die Liga der Generation Geschenkpapieraufheber und Bindfadenwiederverwerter.
Dann muß man dafür organisiert genug sein. Damit scheidet auch ein Teil aus, und das betrifft wieder überproportioonal häufig jüngere.

Und dann kommt noch dazu, daß es politisch natürlich nett ist, wenn man eine Gruppe hat, die einem Kohle spart.


Als wir von Sozialhilfe/HartzIV gelebt haben, ging das auch. Allerdings hatten wir ein paar Vorteile. Einer davon war, daß ich bei Oma&Opa großgeworden bin und superviele Geldspardinge von ihnen verinnerlicht hatte- relativ einfache Nummern wie einkaufen gehen wenn die Preise gesenkt werden bevor neue Ware kommt (mein Bioladeneinkauf war immer ziemlich günstig), Menuplan machen und danach einkaufen, Saisonprodukte nutzen, Reste wiederverwenden etc. Das erschien mir alles ziemlich banal und es waren sogar immer mal wieder kleine Extras drin (Fitness-Studio im Morgenspartarif zB, manchmal wegfahren, Bioprodukte). Wir haben damals in einem Viertel gewohnt, in dem wir nicht die einzigen waren, die HartzIV bekamen. Von ein paar Nachbarn wußte ich es sogar. Jedenfalls schleppte ich eines Tages die 2 Tüten Bio-Gemüse nach Hause und eine dieser Nachbarinnen lief mir über den Weg. Sie wußte ja noch nicht, daß wir ein Kaninchen haben... das sei ja toll für den Tiger. Karnickel?! ich guckte etwas seltsam. Sie deutete auf die Möhren und fragte, wofür ich das denn sonst kaufe.
Zum Essen.
Wie, so was eßt ihr?! Ieeek, das sei doch komisch. Sie schickte ihre Kids abends kurz zum Pizzamann an der Ecke, sei ja nicht so teuer. Kochen... wer macht denn so was noch? das sei doch total altmodisch.

Fertiggerichte kosten 1/3 mehr als frisch gekocht, auch wenn es erst mal verlockend billig erscheint.

Dann kommen zur Altersfrage noch (bildungs)schichtspezifische Konsummuster dazu.


Was aber alles nichts dran ändert, daß es oft Renterinnen sind, die verdeckt arm sind.
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