Lila Kummer
Eben habe ich mir eine leckere Buttermilch aus dem Kühlschrank geholt und wollte darüber schreiben, dass der Genuss mancher Lebensmittel erst mit dem passenden Geschirr oder Besteck perfekt wird.
Also Buttermilch schmeckt am besten aus einer lila Tasse mit weißen Punkten. Joghurt geht nur mit den langstieligen Plastiklöffeln aus der Baby-Abteilung vom dm-Markt, Schokoküsse dagegen mit einem scharfkantigen Kaffeelöffel.
Parallel dazu habe ich mir die neuesten Meldungen auf facebook angeschaut. Süße Wolfhound-Fotos, lustige Urlaubsmeldungen, Schwangerschafts-Neuigkeiten und diese kleine
Geschichte.
So harmlos fing das an, dass ich ganz arglos bis zur Auflösung weitergeschaut habe.
Und jetzt sitze ich hier. Bin am heulen und kann nicht mehr aufhören und mag meine Buttermilch nicht mehr trinken. Da hilft auch keine lila Tasse mit weißen Punkten.
Ja... also...
Veganerpropaganda spielt oft mit der Vermenschlichung von Tieren.
An den Haltungsbedingungen läßt sich ohne Frage viel verbessern und die Hygienevorschriften, daß Kälber nicht am Euter trinken dürfen wenn danach Milch für den menschlichen Verzehr gemolken wird, verstehe ich nicht- man kann das Euter ja desinfizieren und die Tiere stehen eh alle unter tierärztlicher Kontrolle, das Kalb dürfte also so gesund sein wie die Mutter.
Gar keine Frage. Kühe gehören auf die Wiese und nicht hinter Gitter.
Aber vegan ist keine Lösung:
die Monokulturen, die für Soja und Palmfette angelegt werden, sind soziale und ökologische Katastrophen.
Infertiles Saatgut ist eine Todesfalle für bäuerliche Kleinbetriebe, Bauern, die aufgeben müssen, verlieren ihre Lebensgrundlage. Was hierzulande irgendwie doof ist, aber kein unlösbares Problem, wird zur Existenzfrage für Bauern in ärmeren Ländern, wo das Land von Ag(g)ro-Konzernen aufgekauft wird.
Kühe fressen etwas, was der Mensch nicht verdauen kann: Gras. Das ist gut, denn so kann man das Überleben von Menschen sichern, die sich industruiell hergestellte Nahrung wie Soja-Yoghurt nicht leisten können.
Die andere Frage ist: Milch trinken ist unmeschlich, Fleisch essen ist aber okay? Denn Menschen sind Omnivoren. Wir können die Kuh essen, wo wir dann wieder beim Gras sind, was wir nicht essen können.
Wie gesagt, ich bin deutlich offen für bessere Lebensbedingungen für Tiere. Nur seit ich in der ersten Schwangerschaft mal einem Rudel aggressiver Veganer in die Hände fiel und nicht mehr weglaufen konnte weil ich zu schwerfällig war und sie mich tatsächlich umkreist hatten und mit ihrer etwas wirren Weltsicht belämmert hatten (ich hatte recht deutlich gesagt, daß ich in Ruhe gelassen werden will), ist Ente im Gelänte.
Was sagten sie? Das war so wirrr, das bekam ich schon einen Tag später nicht mehr zusammen. Es fing an mit "Hühnermenstruationsprodukten" und der Info, wie viel Eiter in der Milch sei. Dann kamen philosophische Ausflüge in die Frühgeschichte der Gattung "Menschen führen erst Krieg seit sie Tiere essen" und gipfelte in "Ratschlägen", das Kind von Anfang an vegan zu ernähren, auch Muttermilch sei überhaupt nicht gut.
Wenn Sie weinen, denken Sie an folgende Geschichte:
es war Anfang der 1980er, zur zeit der Butterberge und Milchseen und er EG-Agrarquoten. Ich ging mit Oma zur Abenzeit spazieren und plötzlich lief es weiß durch den Rinnstein. Milch? Da floß Milch in die Kanalisation! Wir gingen dem nach und da sahen wir, die Bauers ihren Milchkübel in den Rinnstein leerten. Oma setzte sie auf den Pott- Milch weggießen geht nicht!
Bäuerin erklärte die Situation: für x Liter bekommen sie Geld, weitere z Liter dürfen sie umsonst abgeben, ab z Liter allerdings zahlen sie Strafgebühr für jeden Liter. Wir könnten gerne Milch haben, ihr täte das auch weh, aber sie könnten die Strafgebühr nicht zahlen.
Also trugen wir eine 5-Liter-Kanne Milch nach Hause. Oma weinte. Sie hatte als junge Frau im Krieg über 2 Wochen nichts zu essen gehabt und nun lief die Milch in die Kanalisation. Ich habe sie nicht oft weinen sehen, aber das war zu viel.
Also holten wir abends immer Milch. In der Milchkanne, so wie früher. Ich fand das toll. Oma nicht.
Milch ist wertvoll.
Klar stellt der Spot das Thema mit Hilfe von Vermenschlichung dar, aber ich sehe das eher als Mittel, um den Menschen zu veranschaulichen, dass auch ein Tier Gefühle hat.
Mir kamen die Tränen in dem Moment als gezeigt wurde, wie die Kuh von ihrem Kalb getrennt wurde. Ich bin sicher, dass das für beide schlimm war. Jede Mutter - egal welcher Säugetierart - wird das Gefühl nachvollziehen können. Ich hätte diese Entscheidung nicht treffen wollen. Ich hätte das nicht übers Herz gebracht. Und nur, weil das jemand anderes für mich getan hat, kann ich Milch kaufen.
Ob man nun Milchprodukte konsumiert oder nicht, muss jeder selbst entscheiden. Trotzdem ist es gut, wenn man sich nicht nur mit den Haltungsbedingungen auseinandersetzt sondern auch mit dem Leben der Tiere bzw. den Konsequenzen, wenn eine Kuh Milch geben soll.
Unter anderem werden z.B. männliche Kälber als "Abfallprodukt der Milchwirtschaft" gesehen und so etwas ist vielen Leuten nicht bewusst. Von den männlichen Küken wissen die meisten Leute, dass diese direkt nach dem Schlüpfen geschreddert oder vergast werden. Nur: Jedes Lebewesen will leben. Jedes. Auch ein Küken, das gerade geschlüpft ist und noch gar keine Zeit hatte, auf der Welt anzukommen.
Wir sind zum großen Teil einfach zu weit entfernt von dem dem Leben der Arten, die uns ernähren.
Manchmal hilft es, sich vorzustellen, dass eine andere Art die Möglichkeit und Macht hat, so mit uns umzugehen, wie wir es mit Tieren tun. Ich glaube, das würde sich kein Mensch für sich und seine Kinder wünschen. Und wir Menschen sind nicht "besser" als andere Arten. Wir haben einfach nur die Mittel, Tiere so zu behandeln und nutzen sie. Der Respekt ist einfach abhanden gekommen.
Wer sich informieren und Gedanken machen will, wird das tun. Ich mach das so und lebe dafür mit Tränen, wenn ich die Konsequenzen mal wieder so anschaulich gezeigt bekomme.
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