evolution
Ich bin krank, mir ist speiübel und ich kann nicht schlafen.
Perfekte Voraussetzungen für einen prima Aufsatz.

Mein Prachtexemplar Nr. 2, das Verhütungswunder, bringt so ziemlich jeden Tag irgendeinen Kracher, der einen Aufsatz hergibt. Manchmal ist mir dieses Kind richtig unheimlich.

Vor Ewigkeiten hatte ich mal mit Kolleginnen eine Diskussion. Die Damen waren der Meinung, dass jeder, der mehrere Kinder hat, auch automatisch ein Lieblingskind hat. Ich habe daraufhin meine Meinung zu diesem Thema kund getan: Nö. Jedes Kind ist anders, also habe ich auch zu jedem Kind ein eigenes Verhältnis. Nicht besser, nicht schlechter - anders und eigen.

Die Tatsache, dass mein Prachtexemplar Nr. 2 ein Leben als mein Kind gebucht hat, gibt mir seit dem ersten Ultraschall im Rahmen der jährlichen TÜV-Prüfung bei meiner Frauenärztin (Überraschung!) immer wieder Rätsel auf. Wieso ist der da? Was will der ausgerechnet von mir? Was soll ich daraus lernen?

Also, das jetzt nicht falsch verstehen. Ich liebe dieses Kind von ganzem Herzen, genau wie seinen großen Bruder. Ich bin sehr glücklich, dass ich mit diesen beiden Kindern gesegnet bin, aber gerade dieses eine macht mich manchmal schlicht und ergreifend fertig.

Bald wird er 17 und bis jetzt ist er wirklich ziemlich entspannt durch die Pubertät gedümpelt, stellt offensichtlich nichts schlimmes an, hat einen von mir voll aktzeptierten Freundeskreis, geht fast jeden Tag zum Basketballtraining, bessert sich sein Taschengeld mit der Tätigkeit als Schiedsrichter auf, hat sich selbst um einen Praktikumsplatz bemüht und den gewünschten auch bekommen, wäscht schon seit Jahren seine Wäsche selbst und schreibt fast ausschließlich gute Noten. Ein Traum, gell? Aber irgendwie doch auch beängstigend, oder?

Nicht, dass ich Angst vor dem Kind habe. Ich kann aber leider nicht anders als ihn immer wieder mit mir zu vergleichen, als ich in diesem Alter war. Ach du Scheiße! Ich würde mich noch nicht einmal geschenkt haben wollen. Ich war einfach nur doof. Ein richtiger Horror-Teenie, wie sie in Ratgebern für verzweifelte Eltern von pubertierenden Monstern beschrieben werden. Wo man rebellieren konnte, habe ich rebelliert. Wo man sich daneben benehmen konnte, hab ich das hemmungslos getan. Wo man Umwege gehen konnte - ich hab sie alle genommen.
Also: Warum ist mein Nachwuchs so? Und wieso ist der so unheimlich clever?

Heute hat er mir erzählt, dass er mit einigen anderen aus der Klasse zur Direktorin muss. Grund: Die Französischarbeit ist so unterirdisch schlecht ausgefallen, dass einzelne Schüler dazu befragt werden sollten. Allein die Tatsache, dass der sich dafür freiwillig gemeldet hat. Hätte ich nie gemacht.
Ihre Noten haben sie erst danach erfahren.
Also, Kind war dort, hat seine Meinung zum Schwierigkeitsgrad der Arbeit kundgetan und kommt eben mit der zweitbesten Arbeit nach Hause - wie fast immer ohne zu lernen, der faule Saubär. Wenn ich nicht gelernt habe, dann hab ich auch die passende Note geschrieben, wie sich das gehört für ein durchgeknalltes Hormonsortierding.
Erklärung für das miese Gesamtergebnis: Es handelt sich um einen Französich-Grundkurs, die meisten haben das Fach zum Schuljahresende abgewählt, mit dem Thema abgeschlossen und schlicht und ergreifend keinen Bock mehr, irgendwas dafür zu tun. So einfach.

Vor ein paar Jahren hatte mich seine Französisch- und gleichzeitig Geschichts-Lehrerin zum Elternsprechtag gebeten. Grund: Sie wollte mir erzählen, dass sie mit diesem Kind je nach Fach zwei unterschiedliche Schüler vor sich hat. In Französisch den gelangweilten, nölenden, pubertierenden "Mir ist alles zu blöd und ich habe keinen Bock und ich tue das auch lautstark kund und zwar während des Unterrichts". In Geschichte einen total motivierten, interessierten "jungen Mann, der brilliante Antworten gibt" (das ist jetzt ein Zitat der Lehrerin). Seine Reaktion darauf: Na, das verstehe ich jetzt mal als Kompliment.
Die negative Kritik wegen seinem Verhalten in Französisch hat er einfach unter nicht weiter nennenswert verbucht.
Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass er in Französisch wenigstens künftig die Klappe hält und nicht den Unterricht stört. Soweit ich weiß, hält er sich seitdem auch daran.
An dieser Stelle nochmal der Vergleich zu mir: Ich hatte nie Bock auf nix mit den entsprechenden Noten. Egal in welchem Fach. Ich bin erst mit 21 Jahren nach einer Horror-Lehre wach geworden und habe dann mein Abi nachgeholt.

Das sind jetzt nur ein paar kleine Beispiele. In dem Stil könnte ich jetzt noch weiter aus dem Nähkästchen plaudern.

Worauf ich hinauswill ist: Ich kann nicht fassen, dass der wirklich ein Produkt von mir ist. Sein biologischer Vater ist in dem Zusammenhang nicht weiter nennenswert. Dieses Prachtexemplar scheint wohl nur zu erklären mit dem übermächtigen Wunsch der Natur aus möglichst weit voneinander entferntem Genmaterial, robusten und lebenstauglichen Nachwuchs zu produzieren. Wenn der weiter so macht, dann geht der Plan auf.
Da isse - die Antwort! Jetzt kann ich schlafen.

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